IHRA-Arbeitsdefinition Antisemitismus
Dieser Artikel stammt (evtl. teilweise) von Rudolph Bauer. Ähnliche Artikel enthält auch sein Buch "Kritisches Wörterbuch des Bunten Totalitarismus".
Fragwürdiger Beitrag zur deutschen Schuldabwehr historischer Verbrechen, zugleich gesinnungspolizeiliches Instrument gesellschaftlicher Spaltung.
Folgende „Arbeitsdefinition Antisemitismus“ wurde im Mai 2016 durch das jährliche IHRA-Plenum verabschiedet:
„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“
Die Erweiterung der Definition besagt:
„Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten. […] Antisemitismus umfasst oft die Anschuldigung, die Juden betrieben eine gegen die Menschheit gerichtete Verschwörung und seien dafür verantwortlich, dass ‚die Dinge nicht richtig laufen‘.“
In Kritik an diesem als Definition bezeichneten Statement lässt sich entgegnen: Ähnlich wie der rassistische NS-Antisemitismus die Gesellschaft gesinnungspolizeilich in die nicht-jüdische Mehrheit der arisch „Reinrassigen“ und eine jüdische Minderheit unterteilt hat, so spalte auch der erweiterte Begriff des Antisemitismus die Gesellschaft „in die Minderheit derjenigen, welche sich der per Staatsraison proklamierten […] Tabuisierung israelischer Politik nicht beugen, und der großen Mehrheit jener Deutschen, welche sich im kollektiven Unterbewusstsein Versöhnung und Entlastung versprechen von den seit Kriegsende verdrängten und nicht betrauerten Schuldgefühlen. Indem sie Israel als ‚jüdisches Kollektiv‘ in der Tradition der Verfolgungsgeschichte von Juden im Dritten Reich zu verstehen meinen, entheben sie den israelischen Staat und die Politik der israelischen Regierung jeder Kritik und der Verantwortung für ihr Handeln gegenüber den entrechteten Palästinensern.“ (Vgl. Bauer 2019)
Der Beschluss von 2016 bezieht sich auf ein fast gleichlautendes, bereits im Januar 2005 verabschiedetes Dokument der „Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ (engl. Abk.: EMCH). Die EMCH wurde 2013 umbenannt in „Agentur der Europäischen Union für Grundrechte“ (engl.: Fundamental Rights Agency / FRA) und entfernte daraufhin die Definition von ihrer Webseite. Als Text der EMCH, der durch die IHRA übernommen und erweitert wurde, fand der Wortlaut der Definition von 2016 (siehe oben) auch die Zustimmung der OSZE. Im Juni 2017 forderte das Europäische Parlament alle EU-Staaten auf, die IHRA-Definition für ihren Geltungsbereich zu übernehmen. Bis November 2019 folgten 14 EU-Staaten dieser Aufforderung. Am 20. September 2017 machte sich das deutsche Bundeskabinett die Arbeitsdefinition der IHRA in der erweiterten, Israel einbeziehenden Fassung zu Eigen.
Die Empfehlung der Bundesregierung zielte darauf ab, die Arbeitsdefinition besonders in der Schul- und Erwachsenenbildung einschließlich der Medien sowie bei der Ausbildung und Gesetzesanwendung in den Bereichen Justiz und Exekutive (Polizei) zu beachten. Um diese gesinnungspolizeiliche Absicht zu unterstreichen, hat der Bundestag im Januar 2018 beschlossen, das Amt eines Antisemitismus-Beauftragten einzurichten, das im Mai 2018 durch das Innen- und Heimatministerium besetzt wurde. Am 17. Mai 2019 verabschiedete eine parteiübergreifende Mehrheit des Bundestages eine Resolution mit dem Titel „Der BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“. Mit Berufung auf die erweiterte IHRA-Definition stellte diese Resolution fest: „Die Argumentationsmuster und Methoden der BDS-Bewegung sind antisemitisch.“ Im November 2019 übernahm die Hochschulrektorenkonferenz die IHRA-Definition in der erweiterten Fassung der Bundesregierung. Auch Vereine der Fußball-Bundesliga und der Deutschen Fußball Liga DFL haben die Arbeitsdefinition der IHRA angenommen.
In Anbetracht dieser Entwicklung hat die NS-Politik der Gleichschaltung gesellschaftlicher Organisationen ausgerechnet im Zusammenhang des Holocaust-Gedenkens eine perfide Wiederbelebung erfahren.